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«In Tschernobyl wächst die Artenvielfalt»

Die Atompromotoren haben dazugelernt. Um die Akzeptanz für die gefährliche Atomenergie zu
erhöhen, werden gezielte und kostspielige «Greenwashing»-Kampagnen gefahren. Ein Augenschein
im Reich der Halbwahrheiten.

 

Akzeptanz als Haupthindernis
für neue AKW

«Der Bevölkerung wird es schon
noch dämmern». So Manfred Thumann
kürzlich an der «nuclea»-Tagung.
Den TeilnehmerInnen dieser
vom Nuklearforum organisierten
Atomtagung hat es natürlich
schon längst gedämmert. Die Notwendigkeit
eines neuen Atomkraftwerks
ist eine Selbstverständlichkeit.
Neue AKW werden die heraufbeschworene
Stromlücke decken, das Schweizer Klima retten und unserer
Wirtschaft billigen Strom liefern. Der geeinten
Atom-Gemeinde steht aber noch ein verflixtes Hindernis
im Weg: das drohende Referendum respektive die Akzeptanz
im Volk. Was tun? Die Atomlobby hat aus früheren
Jahren gelernt. Mit ausgeklügelten PR-Strategien und
dreisten Kommunikationsoffensiven wird die Atomtechnologie
schön und grün geredet und die drohende
Stromlücke an die Wand gemalt.

 

AKW sammeln Umweltpunkte

Seit längerem sammeln Atomkraftwerke Umweltpunkte.
Das französische AKW Fessenheim erhielt ein Umweltzertifikat
nach ISO 14 001 für Schutz von Fauna, Flora
und Orchideen sowie für Mülltrennung auf dem Atomkraftwerkgelände.

Auch im schweizerischen AKW Leibstadt wird den BesucherInnen
vor allem Natur pur geboten. In der prächtigen
Umweltecke des Besucherzentrums gibt es Naturwiesen,
Live-Videoschaltung zum Falkennest auf dem
Kühlturmrand und viel Information über die saubere
und ungefährliche Atomenergie.

An der deutsch-französischen Grenze geht es bis zur
Verdrehung der Realität: Dort wurde eine Tarnorganisation
«Au fil du Rhin» gegründet, welche sich für die
nachhaltige Flussnutzung einsetzt und so von der Kühlwasserproblematik
ablenkt.1)

Ein Geschenk des Himmels ist für die Atompromotoren
die Klimadebatte. Obschon unsere Stromwirtschaft im
Ausland neue Gaskraftwerke baut und ungeniert Kohlestrom
aus dem Ausland importiert, wird Klimaschutz in
der Pro-Atom-Argumentation ganz gross geschrieben.
«Keine Medienmitteilung ohne Klimaargument», scheint
die Devise zu sein.
Klar ist, die Atomlobby setzt sich eifrig mit dem Thema
«Umwelt» auseinander und versucht so die Akzeptanz
dieser menschenfeindlichen Technologie zu erhöhen.
Denn ohne Akzeptanz ist die Atomtechnologie ein Auslaufmodell.

 

Drei Kategorien von «Greenwashing»

«Greenwashing» nennt man diese PR-Strategie des
Schön- und Grünredens. Sie wird bereits seit Jahren betrieben,
aber je länger, je perfektionierter und perfider. Die
PR-Profis kennen drei Kategorien von Greenwashing:2)

  • Negativieren: Die Ängste der Gegenwart durch die
    Ängste der Zukunft überdecken. Dramatisierung aller
    Probleme, die durch den Nichtbau von Atomkraftwerken
    entstehen.

Alternative Technologien schlecht zu machen, hilft der
Atomenergie. Es ist besonders perfid, wenn die Stromkonzerne
mögliche Alternativen vermeintlich prüfen,
um danach als vermeintliche Experten deren Potenziale
klein zu reden. So werden Gaskraftwerke als CO2-
Schleudern gebrandmarkt und einmal mehr die Drohkulisse
der Stromlücke aufgezogen.

  • Verschleiern: Die Ängste durch Verfremdung der
    Probleme verdrängen. Herunterspielen der Probleme,
    die im Zusammenhang mit Atomkraftwerken in der
    Bevölkerung auftauchen.

Indem über «harmlose» Zwischenfälle im Nichtatomteil
möglichst häufig und breit berichtet wird, lassen sich
schwere Unfälle einfacher verschleiern. In der Flut von
Positiv-Botschaften geht das wirklich Gefährliche unter.
So dauerte es über einen Monat, bis die staatliche Kontrollbehörde
(HSK) über einen erhöhten radioaktiven
Zustand infolge eines Zwischenfalls im AKW Leibstadt
informierte. Der kürzliche Stromausfall im französischen
Atomzentrum Cadarache schaffte es nicht einmal bis in
die Medien.

  • Verschönern: Die Ängste einfach negieren und ein
    positives Bild aufbauen. Einseitige, positive Informationen
    über (fast) alle Fragen der Atomenergie.

Papier nimmt alles an. In den Publikationen der Atomlobbyisten
werden die Gefahren heute nicht mehr geleugnet, sondern angesprochen und verniedlicht. Die
Bildsprache ist meist bio-logisch schön. Atomenergie ist
heute «umweltverträglich» und «nachhaltig». Statt von
Atom(Bomben)Kraftwerken, reden wir heute von Kernkraftwerken.
Statt «Schweizerische Vereinigung für
Atomenergie», heisst der Verband der Atomwirtschaft
seit 2005 «Nuklearforum». Die Nagra entsorgt den
Atommüll seit kurzen «aus Verantwortung», obschon
sie den Müll bis 1982 in den Atlantik kippte. Auch die
Katastrophe von Tschernobyl hat für die Atomindustrie
ihre positiven Seiten: Die Artenvielfalt hat in der menschenleeren
Zone zugenommen!

 

Vorsicht «Greenwashing»!

Diese Botschaften werden täglich von PR-Beratern formuliert
und von den zu unkritischen Medien ungefragt
transportiert. Die «Greenwashing»-Strategie der Atomwirtschaft
trägt Früchte. In Schulen, in Zeitungen, an Foren
und in den Köpfen. Die Flut an Positiv-Botschaften
und die Verharmlosung der Zwischenfälle in unseren
Medien erzeugen bei der Bevölkerung ein falsches Bild.
Was Desinformation heisst, wissen wir nicht erst seit
dem Irak-Krieg. Deshalb müssen wir uns in einer zunehmend
privatisierten und abhängigen Medienwelt dagegen
wappnen.

Aber wie?
Zum Beispiel, indem wir zeigen, wie sich die Klimasorgen
der schweizerischen Stromwirtschaft kurz ausserhalb
der Schweizer Grenze in Luft auflösen. Oder ganz
allgemein, indem wir die frisierten Halbwahrheiten als
Unwahrheiten entblättern und die durchschaubare
Strategie der Atomlobby zum Thema machen.

Die SES ist überzeugt, dass sich unsere Bevölkerung von
der grünen Patina nicht täuschen lässt. Unter dem Anstrich
verbirgt sich weiterhin eine menschenfeindliche
und veraltete Technologie mit unbeherrschbaren Risiken,
verheerendem Zerstörungspotenzial und immensen
volkswirtschaftlichen Kosten. KKW bleibt AKW, trotz
Orchideenzertifikat und Falkennest.

Von Sabine von Stockar, Projektleiterin Atomenergie, Schweizerische Energiestiftung in "Energie & Umwelt" 4/2006, S. 8-9


 

1 www.aufildurhin.com

2 Kommunikationsstrategie der Hamburger Werbeagentur Drews im
Auftrag der Badenwerk AG, Wyhl, 1975.

 

Weitere Links zum Thema Greenwashing und Atomkraftwerke:

ΞAtomkraft